Mansfelder Bergbau & Hüttenwesen

Vor 50 Jahren - Eine Schlagwetterexplosion im Fortschrittschacht (I)
von Dr. Stefan König
2010

Der Rückblick auf das verheerende Grubenunglück am 22. Februar 1960 im Zwickauer Steinkohlen- revier, bei dem 123 Bergleute starben, weckt auch Erinnerungen an die Methangasexplosion vom 19. April 1960 im Fortschrittschacht (I).
An diesem Tag kam es gegen 7.35 Uhr in der 12. Sohle des Fortschrittschachtes, in der Füllstelle und in der Förderfahrt eines Strebes im Flügel 27, zu einer Methangasexplosion. Durch diese Explosion wurden sechs Bergleute, davon vier Strafgefangene aus dem Lager Volkstedt, schwer verletzt. Sie erlitten Verbrennungen 2. Grades am ganzen Körper. Von diesen sechs Bergleuten verstarben am 30.4.1960 der 17-jährige Berglehrling H.-.J. K., am 3.5.1960 der Strafgefangene W. S. und am 10.5.1960 der Strafgefangene H. B.. weitere vier Strafgefangene, die an den Rettungsarbeiten beteiligt waren, wurden mit den Symptomen Übelkeit und Erbrechen ins Bergbaukrankenhaus Eisleben eingeliefert. Sie konnten aber nach Behandlung bald wieder das Krankenhaus verlassen.
Was war geschehen?
Über die Osterfeiertage war vom Ostersonnabend, dem 16.4.1960, 22.00 Uhr bis zu Beginn der Frühschicht am Osterdienstag, dem 19.4.1960, 6.00 Uhr, Betriebsruhe.
Während dieser Betriebsruhe fiel am 17.4.1960 in der Zeit von 6.15 Uhr bis 7.00 Uhr die Stromzufuhr vom Kraftwerk zum Fortschrittschacht aus. dadurch wurden alle unter Tage befindlichen Lüfter und Ventilatoren außer Betrieb gesetzt. Am Ostermontag, dem 18.4., waren gegen 11.00 Uhr alle Lüfter unter Tage, mit Ausnahme der in den Abbauflügeln, wieder in Betrieb. Diese wurden erst einen Tag später, am 19.4., zum Arbeitsbeginn zwischen 7.20 bis 7.25 Uhr eingeschaltet. Auch die Bewetterung im Unfallflügel 27 nahm erst zu diesem Zeitpunkt wieder ihren Betrieb auf. Während der Zeit des Wetterstillstandes im Grubenfeld des Fortschrittschachtes konnten Ansammlungen von Methangas im Bereich gasgefährdeter Betriebspunkte nicht ausgeschlossen werden.
Auf diesen Umstand, der von der Belegschaft ein besonders umsichtiges und den Vorschriften gerechtes Arbeiten verlangte, wurde auf dem Roten Treff, zu Beginn der Frühschicht, am 19.4.1960, hingewiesen.

Es kommt zu einer Explosion!
Auf Grund dieser Informationen begab sich ein Handwerker nach Absprache mit dem verant- wortlichen Steiger zeitlich vor der anderen Belegschaft auf den Flügel 27. Er schaltete dort einen Teil der Flügelbewetterung wieder ein. Bei diesen Arbeiten führte er keine Wetterlampe mit. Da der größte Teil der Belegschaft des Flügels 27 am Osterdienstag abfeierte, stellte der Flügelsteiger erst unter Tage aus einem Häuer, einem Berglehrling sowie vier Strafgefangenen eine Strebbrigade zusammen. Da der Häuer seinen Arbeitsauftrag als Brigadeleiter erst unter Tage erhielt, führte er genau wie der Flügelsteiger keine Wetterlampe mit. Damit konnte der eingesetzte Brigadeleiter seinen Arbeitsbereich nicht ableuchten, d .h. ihn nicht auf die Ansammlung von Methangas kontrollieren. Ein schwerer Verstoß gegen bestehende Sicherheitsvorschriften.
Zur Aufnahme der Arbeit begab sich der Brigadeleiter mit drei Mann über die ca. 100 m lange Förderfahrt in Richtung Streb. Bei Eintritt der Explosion befand sich der Brigadeleiter mit einem Strafgefangenen in der Förderfahrt, ca. 7 m bzw. 15 vom Streb entfernt. In der Förderfahrt hielt sich weiterhin der Berglehrling H.-J. K. sowie ein weiterer Strafgefangener auf. In der Abbaustrecke, im Bereich der Füllstelle des Strebes, waren noch zwei weitere Strafgefangene.
Nach Eintritt der Explosion konnten die vier in der Förderfahrt verletzten Bergleute ohne fremde Hilfe bis in die Abbaustrecke flüchten. Dort befanden sich auch die anderen zwei Verletzten. Von anderen nach der Explosion herbei geeilten Bergleuten wurde der Abtransport der Verletzten organisiert und durchgeführt.

Wie kam es zur Explosion?
Über die Auswertung des Unfalls lagen im Archiv des Mansfeld-Kombinates zwei ausführliche Unfallberichte vor. Ein Bericht wurde angefertigt durch eine betriebliche Untersuchungskommission, unterschrieben vom Werkdirektor Dr. Jentsch. Der andere Bericht stammte von einer Einsatzgruppe von vier Kriminalisten des Volkspolizei-Betriebsschutzamtes des Mansfeld-Kombinates.
Übereinstimmend wird in beiden Berichten die Ausgangsposition beim Unfalleintritt beschrieben. Sie war gekennzeichnet durch die lange Stillstandszeit des Fortschrittschachtes über die Oster- feiertage, die Unterbrechung der Wetterführung und die damit eingetretene ungenügende Bewetterung speziell der Strebfahrten sowie der Förderstrecken. Dadurch konnten sich in der Fahrt und im Füllstellenbereich der Verunglückten gefährliche Methangaskonzentrationen ansammeln. Auch kurz nach Wiederinbetriebnahme der Flügel- und Strebbewetterung durch den Flügelhand- werker bestand noch diese gefährliche Situation.
Für die Klärung der Explosionsursache waren die Beobachtungen der Grubenwehrleute sehr wichtig, die als erste am Unglücksort eintrafen.

Sie fanden am Haspelstand der Füllstelle, wo sich zwei Strafgefangene zum Zeitpunkt der Explosion aufgehalten hatten, u. a. zwei frischgestopfte Tabakpfeifen und Streichhölzer. Die Kriminalisten des Betriebsschutzamtes des Mansfeld-Kombinates gingen deshalb in ihrem Untersuchungsbericht davon aus, dass die beiden Strafgefangenen durch Anzünden des Streichholzes die Pfeifen bzw. Zigaretten anbrennen wollten. Es konnte aber auch nicht ausgeschlossen werden, dass bereits bei Explosions- eintritt einer oder mehrere der verletzten Strafgefangenen geraucht hatten. Dadurch wurde die Explosion ausgelöst. Diese beiden Strafgefangenen verstarben an den Folgen der Explosion. Die eingesehenen Akten lassen die Frage offen, ob durch die Kriminalisten die Schuldfrage endgültig geklärt werden konnte.
Weiterhin wurde durch die Kriminalisten der Frage nachgegangen, ob vielleicht die Explosion durch den Hauptschalter des elektrischen Haspels ausgelöst wurde. Allein schon die Öffnung des Schalterkastens verneinte diese Frage, denn in ihm waren keinerlei Verbrennungsrückstände vorhanden. Dort abgelagerte Öl- und Stoffteilchen waren völlig unbeschädigt. Ein Gutachten der Versuchsstrecke Freiberg verneinte ebenfalls nach elektrotechnischer Prüfung die Auslösung der Explosion durch eine elektrische Zündquelle.

Was waren die Unfallursachen?
Die beiden Untersuchungsberichte kamen übereinstimmend zum Ergebnis, dass ein ordnungs- gemäßes Ableuchten, d. h. eine Kontrolle der Wetter auf Ansammlungen von Methangas, diese Explosion verhindert hätte. Weiterhin hinterlassen beide Berichte keinen Zweifel an der fehlenden Einhaltung und der ungenügenden Durchsetzung des seit Februar 1952 gültigen Rauchverbots im Kupferschieferbergbau. Allerdings setzten die beiden Untersuchungsberichte bei der Ermittlung der Unfallursachen unterschiedliche Schwerpunkte. So beantwortete man die Frage, warum diese schweren Verstöße eintreten konnten, sehr unterschiedlich.
Einen Schwerpunkt im Unfalluntersuchungsbericht des Betriebsschutzamtes stelle die Analyse über die Mitgliedschaft von Leitungskräften des Fortschrittschachtes in der NSDAP sowie in Organi- sationen des 3. Reiches dar. Damit begründete man die Aussage, dass die eingetretenen schweren Verstöße im Zusammenhang mit dem ungenügenden politisch-ideologischen Bewusstseinsstand des eingesetzten Leitungspersonals standen. Diese Vorgehensweise spitzte sich im Unfalluntersuchungs- bericht in der Fragestellung (Originalzitat kursiv) zu: "
Warum gerade ein SS-Mann die Sicherheit in einem volkseigenen Betrieb und die Errungenschaften der Arbeiterklasse im Fortschrittschacht organisieren und garantieren sollte".
Ein weiteres Problem stellte lt. Bericht des BS-Amtes die hohe Zahl von Strafgefangenen auf dem Fortschrittschacht dar. Zu den ca. 4000 Beschäftigten zählten auch in dieser Zeit ca. 300 Strafge- fangene. Im Unfalluntersuchungsbericht des BS-Amtes findet man die Aussage (Originalzitat kursiv) "
Einen Unsicherheitsfaktor stellen die unter Tage arbeitenden Häftlinge insofern dar, als zwischen ihnen und den Bergleuten enge Verbindungen bestehen". man führte zur Beweisführung an, dass sie von ihnen nicht nur Schnaps und Zigaretten bekamen, sondern dass die Bergleute auch als Ver- teiler illegaler Briefe und Pakete nebst Rückantworten, auch aus dem kapitalistischen Ausland, in Erscheinung traten. Begünstigend wirkte weiterhin, dass ehemalige Volkstedter Häftlinge nach ihrer Strafverbüßung in Eisleben wieder auf dem Fortschrittschacht arbeiteten.
Hingewiesen wurde auch im Bericht des BS-Amtes auf die noch zu dieser Zeit übliche Zündung der Sprengladungen in den Streben mittels offenen Lichts.
Angemahnt wurde eine schnelle Klärung dieses technischen Problems, welches im Widerspruch zum Rauchverbot stand und so auf das Unverständnis der Belegschaft stieß. Am Ende des Jahres 1960 kam die elektrische Zündung in den Streben des Kupferschieferbergbaus generell zum Einsatz.
In dem vom Werkdirektor Dr. Jentsch am 12.5.1960 unterschriebenen betrieblichen Untersuchungsbericht wurde eine Vielzahl von technischen und organisatorischen Einzelmaßnahmen festgelegt. Sie betrafen z.B. auch die Festlegung des Personenkreises, der bei Befahrungen eine Wetterlampe mitzuführen hat. Um Erschwernisse zu reduzieren, die durch die Mitführung der Wetterlampe eintraten, wurde die Einführung der sogenannten Verbundleuchte für das ingeneur-technische Personal sowie für die Schießmeister vorge- sehen. Die Verbundleuchte ist eine Kombination von einer elektrischen Handlampe mit einer Wetterlampe. Der Kaufmännische Direktor des Mansfeld-Kombinates wurde beauftragt mit dem Grubenlampenwerk Zwickau zwecks ihrer Produktion und Lieferung in Verbindung zu treten.
Der Gesamtbedarf für den Kupferschieferbergbau wurde mit 1035 Stück ermittelt. Allerdings kamen die Verbundleuchten im Kupfer- schieferbergbau aus unbekannten Gründen nicht zum Einsatz.
Die letzte Schlagweterexplosion im Mansfelder Kupferschieferbergbau ereignete sich am 23. Februar 1977 in einem nicht bewetterten Grubenbau im Bereich des Thomas-Münzer-Schachtes Sangerhausen. Sie trat durch den Betrieb eines nicht schlagwettergeschützten elektrischen Betriebsmittels ein. Die Explosion blieb ohne Folgen für die Belegschaft.

  

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