Mansfelder Bergbau & Hüttenwesen

Der Schatz im Dittrichschacht
von Dr. Rudolf Mirsch
2005

Der Schatz auf der 380-m-Sohle des Dittrichschachtes
Im Jahr 1944 nahmen die Bombenangriffe auf Industrieanlagen und Städte im gesamten ehemaligen deutschen Reichsgebiet stark zu. Zur sicheren Verwahrung wurden neben kriegswichtigen Materialien auch materielle Werte, bedeutendes Kulturgut und persönliche Gegenstände in vielen Schächten und Stolln eingelagert. Nach der Beendigung des schrecklichen, von Deutschland begonnenen Krieges und der Besetzung Mitteldeutschlands durch amerikanische Truppenteile im Frühjahr 1945 beherrschten die Sieger Recht und Gesetz. Diesen waren alle über und unter Tage eingelagerten Bestände offen zu legen. Diese Bestände wurden mit nur wenigen Ausnahmen beschlagnahmt und große Teile davon abtransportiert. Dazu gehörte nicht nur das in Kalischächten im Raum Sondershausen eingelagerte Reichsbankgold, sondern auch wertvolle Kunstschätze, und selbst die in einer verschlossenen Kammer der Grube Bernterode noch im März 1945 verbrachten Särge der Preußenkönige F. Wilhelm I., Friedrich II. und der von Hindenburg.
Auch in Eisleber Schächten waren streng geheim gehaltene unterirdische Lagerräume eingerichtet. Vom 13. bis 22. Juni 1945 war das Verladen der über 50.000 Stahlflaschen mit rund 1750 t Quecksilber, die im Paulschacht deponiert waren, befohlen worden. Allein dafür wurden 120 Eisenbahnwagen benötigt. An anderen Stellen waren über 15 t Mansfelder Silber, geringe Mengen Gold und Platin, 12 t Vanadinsäure und auch knapp 10 t Reinselen beschlagnahmt worden. Fast die kompletten Mengen wurden auf Militär-LKW verladen und ebenfalls abtransportiert. Dazu kamen Einlagerungen, die aus Privatbesitz stammten.
Im Dittrichschacht befanden sich die wertvollsten Bestände der Sammlungen des Berliner Post- museums, die von der Öffentlichkeit völlig unbemerkt Ende 1944 nach Eisleben kamen und unter Tage verwahrt wurden.

Zum Schicksalhaften Weg der Sammlung des Reichspostmuseums
Um diese Museumsschätze der Weltkultur vor den immer gewaltiger werdenden Bombenangriffen auf Berlin zu schützen, sollte ein sicherer Platz gefunden werden. Zunächst wurden große Teile der Sammlungen in den Kellergewölben des Museums gelagert und nur die wertvollsten Stücke in den Tieftresoren der Reichsbank verwahrt. Bald erschienen auch die Tresore nicht sicher genug. Es mag schwer gewesen sein, gegen Kriegsende noch einen Ort in Deutschland zu finden, wo eine sichere Aufbewahrung möglich war.
Die Auslagerung in die sicher geglaubte Kulturstadt Dresden, nach Wien und in andere Städte wurde in Betracht gezogen. Schließlich wurde in einer eiligen und streng geheimen Aktion der Transport in Richtung Wien zusammengestellt. Doch als die sowjetische Armee sich immer schneller österreichischem Gebiet näherte, wurde die Fahrzeugkolonne in Richtung Leipzig, dann Halle und schließlich nach Eisleben dirigiert. Ohne dass die Eisleber Bevölkerung etwas davon erfuhr, wurden diese Millionenschätze eingelagert. Die dafür genutzten ursprünglichen Lagerräume für Bergbau- sprengstoffe konnten sicher verschlossen werden und wurden teilweise zusätzlich zugemauert.
Am Vormittag des 13. April 1945 wurde Eisleben von amerikanischen Truppen besetzt. Schon wenige Tage später gab es Kontakte zwischen dem Verantwortlichen der amerikanischen Besatzungsmacht für den Mansfelder Seekreis, Major Perham, und den Direktoren der Mansfeld AG. Mitte Juni wurde in Eisleben bekannt, dass ein Wechsel der Besatzungsmacht bevorstand.

Der Abtransport
Das mag die Amerikaner bewogen haben, aus dem Gebiet, das sie nun bald wieder verlassen sollten, entgegen getroffener Vereinbarungen noch gute Kriegsbeute mitzunehmen. Aus den geforderten Listen war der Besatzungsmacht bekannt, dass nicht nur kriegswichtige Materialen im untertägigen Gewahrsam lagerten, sondern auch wertvolle Kulturgüter.

Am Nachmittag des 9. Juni 1945 erschienen auf dem Dittrichschacht zwei Offiziere der amerikanischen Armee und verlangten, die gemeldeten Einlagerungen zu sehen. Sie wurden jedoch von Aufsichtsbeamten des Schachtes abgewiesen. Am 11. Juni erschienen erneut vier Angehörige der Besatzungsmacht mit einer Vollmacht, die auf der 380-m-Sohle eingelagerten Gegenstände zu besichtigen. Nach dieser Inspektion wurde angekündigt, das eingelagerte Gut am 15. Juni aus dem Schacht zu fördern und abzutransportieren. Bis zu diesem Zeitpunkt sollte die Schachtfördereinrichtung so verändert werden, dass der Transport auch der großen Kisten möglich wurde. Aber bereits am Nachmittag des gleichen Tages wurde der für die Schachtanlage Hauptverantwortliche noch einmal aus seiner Wohnung abgeholt und zum Dittrichschacht gebracht. Dort wurde ihm befohlen, sofort alles Transportfähige herauszuholen zu lassen. Durch eine Verzögerungstaktik konnten an diesem Tage jedoch nur einige wenige Gegenstände mitgenommen werden. Bereits vor dem vereinbarten Termin wurden am 12. Juni alle transportfähigen Pakete und auch acht kleinere Kisten herausgeholt und der deutschen Zuständigkeit entzogen. Schließlich konnte nach den befohlenen Änderungen an der Schachtförderung am 15. und 16. Juni auch das restliche Lagergut zu Tage gebracht und abtransportiert werden. Insgesamt umfasste der im Sprengstofflager eingelagerte Reichspostschatz über 70 Kartons, Kästen und Säcke, 221 Pakete und 201 Kisten.
In einer Aktennotiz vom 10.7.1945 heißt es dazu:
„Bei der Besichtigung der eingelagerten Gegenstände der Reichspost auf der Kalisohle, die zwei Tage vor dem Abtransport erfolgte, hat der Unterzeichnete mit dem Leutnant Sweeny (?) von der Militärregierung Seekreis verhandelt. Der betreffende Leutnant wurde ihm von Herrn Dr. Stahl als der von dem Kommandanten mit der Auslagerung beauftragte Offizier bezeichnet und war im Besitz unseres offiziellen Schreibens, in dem wir der Militärregierung Meldung erstattet hatten. Die Erteilung einer Quittung bzw. Zurücklassung der zusammen mit den Gegenständen der Reichspost untergebrachten Privatgüter der Reichpostbeamten wurde abgelehnt.“

Die Pakete und Kisten wurden auf Militärkraftwagen verladen und unter der Leitung eines Majors Perham nach Marburg gebracht. Wie später bekannt wurde, wollte bereits im April 1946 der amerikanische General und stellvertretende Militärgouverneur für Deutschland, L. D. Clay, zunächst die beschlagnahmte Briefmarkensammlung des Reichspostmuseums in den USA vermarkten lassen. Das Vorkaufsrecht sollte die Bibliothek des amerikanischen Kongresses erhalten. Die Entscheidung fiel dann aber doch anders aus. Schließlich wurden am 30. Mai 1949 diese Museumsschätze der Hauptpostverwaltung der drei Westzonen in Wiesbaden übergeben. Einzige Bedingung war, dass sich die Verwaltung verpflichten sollte, die Unversehrtheit der Sammlung nicht zu zerstören.

Bestandsaufnahme
Als nun deutsche Sachverständige und Kriminalisten eine Bestandsaufnahme durchführten, musste festgestellt werden, dass die Sammlungen nicht mehr komplett waren. Viele gute Stücke, darunter auch die wertvollsten Stücke aus einem Safe einschließlich der beiden Mauritius-Marken, die komplette Bogensammlung und anderes Material fehlten. Viele Vermutungen über mögliche Ursachen der Verluste wurden laut, und hektische Ermittlungen begannen. Es wurde den kuriosesten Hinweisen nachgegangen. So sollte ein Victor Panin aus Odessa eine Mauritius besitzen. Sofort eingeleitete Überprüfungen ergaben jedoch, dass es nicht eine der beiden vermissten Raritäten, sondern eine noch häufig vorhandene spätere Markenausgabe dieses Landes war, die er besaß. Andere Spuren führten nach Südamerika. Auch viele deutsche Bürger, nun angelockt von einem zu erwartenden Finderlohn in vier- oder fünfstelliger Höhe, meldeten sich, ohne dass den intensiven Ermittlungen ein Erfolg beschieden war. Nachforschungen im Umkreis der ehemaligen Angehörigen der Besat¬zungsmacht, die die Beschlagnahme und den Abtransport verfügten und durchführten, waren tabu und konnten nicht erfolgen.
Was kaum noch jemand erwartet hatte: Das vermisste wertvollste Teil der Sammlung, der unversehrte kleine Wandtresor, tauchte knapp 30 Jahre später wieder auf. 1976 bot ein Amerikaner dem Londoner Briefmarkenhändler Robson Lowe diesen Schatz zum Kauf an. Wie bei Gemälden, so sind auch Briefmarken von solch großer Seltenheit nicht einfach zu verkaufen. Der britische Händler erkannte die Brisanz dieses Verkaufsangebotes sofort und meldete den Vorgang Scotland Yard, der Londoner Kriminalpolizei. Nach Anlauf der Untersuchungen stellte sich der Anbieter selbst der Zollfahndung in Philadelphia (USA). Seine Erklärung war, dass ihm 1945 diese Marken von einem älteren Deutschen zum Kauf angeboten wurden und so in seinen Besitz gelangt wären. Offenbar schenkte man dem des Diebstahls Verdächtigten gern Glauben. Der Name des Anbieters wurde aber - aus welchen Gründen auch immer - lange Zeit nicht bekannt gegeben. Schließlich veröffentlichte „Linn’s Stamp News“ am 29. Oktober 1990 unter der Überschrift
„German reunification prompts Customs to return Reichspostmuseum stamps“ einen umfangreichen Artikel, in dem erstmalig auch der Name des ehemaligen Angehörigen der Besatzungsmacht in folgendem Zusammenhang genannt wurde: „Sweeney told officials the stamps were a gift from a grateful German couple whom he had helped to escape from the advancing Russian army in 1945“.
Sweeney war inzwischen schon zehn Jahre tot, er war im Jahre 1980 verstorben. Er konnte zur Sache nicht mehr gehört werden. War es die gleiche Person, welche mit der Auslagerung aus dem Dittrichschacht beauftragt war? Es ist Spekulation, wohl aber sehr wahrscheinlich, dass dieser ehemalige Armeeangehörige schon Anfang Juni 1945 die wertvollen Stücke ungerechtfertigt an sich nahm und sich mit der erfundenen Geschichte reinwaschen wollte.
Seit 1977 lagerte das mit Panzerglas gesicherte Behältnis mit den beschlagnahmten außerordentlich wertvollen Stücken beim Zoll in Philadelphia/USA. Jeder der beiden deutschen Staaten erhob daraufhin Anspruch. Weil für die amerikanischen Behörden die Rechtsnachfolge des ehemaligen Reichspostministeriums als ungeklärt galt, blieb der kleine Tresor in den Vereinigten Staaten. Dieses Hindernis verschwand am Tag der Wiedervereinigung Deutschlands. Am 18. Oktober 1990 lieferte der Zoll in einer wiederum streng gehüteten Aktion und mit den nötigen polizeilichen Schutz- maßnahmen den streng gehüteten Schatz bei der Deutschen Botschaft in Washington ab. Die acht Briefmarken mit einer sehr bewegten Vergangenheit und einem unschätzbaren Wert, deren Weg über Eisleben führte, waren nun beim rechtmäßigen Besitzer, dem deutschen Staat. Am 28. November 1990 wurden sie vom damaligen Postminister Schwarz-Schilling anlässlich einer Briefmarkenmesse in einer Panzerglasvitrine erstmals wieder der Öffentlichkeit präsentiert. Im März 2000 wurde im vereinten Berlin das Postmuseum nach umfangreicher Restaurierung eröffnet. Der Schautresor mit den Weltraritäten ist nun wieder in Berlin.

Fazit
Im Mai 1945 endete der schreckliche II. Weltkrieg. Das Leid von Millionen Menschen bei Siegern wie Besiegten war groß. Hunger und Not waren gegenwärtig. Die aus den Kalischächten bei Sondershausen konfiszierten Gold- und Devisenbestände, das Silber und andere Metalle aus Eisleben werden wie viele von den Siegermächten als Beutegut genommenen Kunstwerke und Kulturgüter nie mehr einklagbar sein. Raubten doch auch Deutsche erhebliche Mengen Kulturgut in besetzten Ländern. Plünderungen durch Armeeangehörige vor nunmehr 60 Jahren waren nicht rechtmäßig, jedoch häufig geduldet. Als besonders spektakuläre Tat gilt die Plünderung des Quedlinburger Domschatzes. Millionen Kunstgegenstände gelten weiter als verschollen. Es gibt aber auch Lichtblicke. Erst 1997 wurde ein Tischbein-Gemälde den Weimarer Kunstsammlungen zurückgegeben. Die Rückgabe von Beutekunst ist weiter im Gespräch. Neben vielen anderen überaus wertvollen noch verschollenen Beständen wird auch die Erlangung fehlender Exponate aus der ehemals größten Sammlung zur Postgeschichte, die in Eisleber Schächten eine kurze Zeit verwahrt wurde, weiter verfolgt.
Inzwischen ist bekannt, dass im Mai 1999 bei einer Auktion ein zweites abgetrenntes Einzelstück aus einem mit weit über 250.000 € bewerteten Fünferblock der weltweit berühmten „Sachsen-Dreier“ angeboten wurde. Ein Einzelstück ist jedoch wesentlich weniger wert. Es gehörte eindeutig identifizierbar zum Bestand des ehemaligen Reichspostmuseums und gilt als vermisst.

Da keine Aussicht auf Erfolg einer Klage bestand, wurde leider auf gerichtliche Schritte verzichtet.

  

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